Perspektiven.
Es ist ein Markt auf der Überholspur. Immer feingliedriger wird die Logistik. Immer stärker rücken in aufstrebenden Märkten Gabelstapler und Lagertechnik an die Stelle von Muskelkraft und Sackkarre. Cristine Sauter ist mittendrin.
Die Berge exotischer Früchte und Gemüse betäuben die Sinne, unendlich ziehen sich die Auslagen durch die Hallen des gigantischen Frischmarkts im Herzen der brasilianischen Boomtown São Paulo. Arbeiter laden die schweren Kisten mit Ananas, Melonen oder Bananen noch ganz traditionell auf „Carrinhos“ – schmale, selbstgezimmerte Handwagen – und manövrieren sie mit Muskelkraft durch die engen Gänge zwischen Händlern und Kistenstapeln. Cristine Sauter beobachtet das quirlige Treiben höchst interessiert. „Hier können wir noch viele Gabelstapler verkaufen“, meint die 37 Jahre alte Personalmanagerin von KION South America. „Wir haben hier ein riesiges Potenzial.“
Der Aufschwung ist allgegenwärtig in der Millionenmetropole: Zwischen manchmal arg ramponierten Hochhäusern lugen frisch renovierte Fassaden, Wohn- und Bürokomplexe wachsen in den Himmel, und trotz der Hitze sind Anzüge allgegenwärtig auf der breiten Avenida Paulista, der „Wall Street“ São Paulos.
In den vergangenen Jahren hatte die Nachfrage nach Qualitätsprodukten der Marken Linde und STILL bereits deutlich angezogen, im Geschäftsjahr 2013 verbuchte die KION Group in Brasilien sogar einen Absatzrekord. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis das Werk in Rio de Janeiro an seine Kapazitätsgrenzen stieß. Cristine Sauter zählte zu der Gruppe KION Mitarbeiter, die Umzug und Neuanfang in einer nagelneuen Fabrik nahe São Paulo organisierten.
Das nötige Rüstzeug dafür hat sie. Sauter ist eine echte „Paulista“ – geboren und aufgewachsen in der Stadt. Ihre Großeltern waren einst aus Hamburg eingewandert. Die 37-Jährige spricht Deutsch ohne Akzent neben Portugiesisch, Englisch und Spanisch. Durch den chaotischen Verkehr in den immer verstopften, mehrspurigen Stadtstraßen von São Paulo navigiert sie mit schlafwandlerischer Sicherheit.
Per Lautsprecher nach Mitarbeitern gesucht
Das Werk liegt eine Stunde vor den Toren der Stadt, in Indaiatuba. „Als wir 2012 dort anfingen, gab es nur eine grüne Wiese. Zusammen mit CEO Frank Bender waren wir zu fünft und unser Büro war zunächst in einem ehemaligen Bauernhaus untergebracht“, erzählt sie. Die Vorteile lagen auf der Hand: Indaiatuba bot mit einem gerade eröffneten Güterverkehrszentrum bessere Infrastruktur und größere Sicherheit als Rio.
Als Werksgebäude und Maschinen standen, musste die Managerin innerhalb von drei Monaten 120 qualifizierte Arbeitskräfte einstellen. Wie schafft man das in einer Boom-Gegend, in der die Arbeitslosenquote sensationell niedrig um ein Prozent herum liegt? „Wir haben teilweise Wagen mit Lautsprechern durch die Straßen geschickt, um die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass wir attraktive Jobs bieten“, berichtet sie. Was auch half: Deutsche Arbeitgeber sind in Brasilien beliebt, auch, weil sie den Lohn pünktlich zahlen. Die Personalmanagerin suchte alle neuen Mitarbeiter persönlich aus. „In Brasilien ist der direkte Kontakt sehr wichtig.“
Es musste Brasilien sein
Im März 2013 wurde das neue Werk für Gegengewichtstapler eingeweiht, in dem auch Lagertechnik vom Band läuft. Die Zahl der Mitarbeiter ist binnen weniger Monate auf 200 geklettert – viel Arbeit für Cristine Sauter. Ihren Job organisiert sie mithilfe zweier Handys. Dazu jongliert sie Privatleben mit vier kleinen Kindern, einem Labrador-Welpen und einem Haus im Bau. Quasi nebenbei macht sie auch noch einen MBA-Abschluss.
Für Cristine Sauter musste es Brasilien sein. Als junge Frau lebte sie zwar ein paar Jahre in Saarbrücken, um Betriebswirtschaft zu studieren. Danach wollte sie aber wieder zurück in die Heimat. „In Deutschland ging es mir zu langsam damals.“ Und warum sie zur KION Group gestoßen ist? „Hier habe ich die Freiheit, Dinge selbst zu gestalten. Das findet man in brasilianischen Unternehmen nicht so oft. Und ein neues Werk aufzubauen war faszinierend, es war wie ein Start-up.“
Ihre deutschen Wurzeln kann sie nicht verleugnen, will es auch gar nicht. Vom Großvater lernte sie, wie wichtig eine gute Ausbildung ist. „Das kann dir keiner nehmen, hat er immer gesagt“, erinnert sich Sauter. Diese Philosophie gibt sie nicht nur an ihre Kinder weiter, sondern auch an ihre Mitarbeiter. Sauter arbeitet eng mit der deutschen Berufsschule IFPA in São Paulo zusammen: Junge Mitarbeiter werden dort im dualen System unter anderem als Industrie- und Speditionskaufleute ausgebildet. Die Praxis lernen sie im Werk in Indaiatuba. Das Konzept ist neu für Brasilien – und für die KION Group ein klarer Wettbewerbsvorteil.